Liveboat Chapter V

Für dieses Projekt in Berlin arbeitete Hadmut Bittiger mit zwei weiteren Künstlern zusammen. Marco Canevacci von der Gruppe Plastique Fan-tastique erschuf für das Tempelhofer Feld in Berlin aus luftigen Kunststoffröhren ein überdimensioniertes Flüchtlingsboot. Im Inneren ertönte eine ungewöhnliche Klangkomposition von Marco Barotti mit Auszügen aus Homer’s Odyssee und Fragmenten aktueller Interviews, die Hadmut Bittiger mit Geflüchteten geführt hatte. Die Besucher konnten im Zwielicht den Schiffsbauch ablaufen und aus mehreren Lautsprechern die verwobenen Stimmen der Gestrandeten hören, damals Odysseus mit seinem Schiff, heute die Geflüchteten – meist aus Syrien – mit Booten, zu Fuß oder gar mit Fesselballons.

Hadmut Bittiger collaborated with two other artists on this project in Berlin. For the Tempelhofer Feld in Berlin, Marco Canevacci of the group Plastique Fantastique created an oversized refugee boat out of airy plastic pipes. Inside, an unusual sound composition by Marco Barotti comprising verses from Homer’s Odyssey and interviews by Hadmut Bittiger was to be heard. Visitors traversed the twilit belly of the ship to the loudspeaker accompaniment of the interwoven voices of the stranded: once Odysseus with his ship, now refugees, mostly from Syria, fleeing by boat, on foot, or even by balloon.


„To be a refugee is not something that anybody selects. No, in just one day you can be a refugee. To be in this condition we have today, no right to job, no right to everything, people of society are fighting because of us. They don´t want do see us, so people are saying send them back, so people are saying they take their job, so people are saying they are criminal, also people who don´t know … it can be happen to anybody …. The Germans can think back, it´s not their choice, what happened to Germans back, they find themselves in this condition. They have to remember back, what has happened, because it is not anybody’s choice, to be a refugee. Some lost their parents, some lost their family, some they have nobody anymore, some lost their kids, everybody lost what they worked for for many years, they lost their house they built for many years, you see, this is something that is supposed to be clear to anyone. Because it is not our choice to be as we are today.“

Bashir Zacharia, Nigeria, Flüchtling vom Oranienplatz


Stimmen/voices
(Auszüge, excerpts)

„To be a refugee is not something that anybody selects. No, in just one day you can be a refugee. To be in this condition we have today, no right to job, no right to everything, people of society are fighting because of us. They don´t want do see us, so people are saying send them back, so people are saying they take their job, so people are saying they are criminal, also people who don´t know … it can be happen to anybody …. ”
„I don´t know the situation in Europe. I don´t know what is going on here, I come to Europe by force. They put me in the boat to Italy and we spent six days in the sea. After six days, our boat was „kaputt“, almost 400 people die. Our boat staying on one place in the sea and we stayed there for one day, we are turning around inside the sea for five days …“
„Alle sind tot, kein Haus … kein Haus . keine Lager Al- Sabinah und Yarmuk … alles weg … alles kaputt. Es gibt zu viele Tote, Kinder tot, Frauen tot. Und auch in Ägypten, Kinder, Frauen, Männer … Ich weiß nicht, zu viele Probleme jetzt … Entschuldigung.
Meine Eltern und mein großer Bruder haben gearbeitet und mir Geld gegeben. Ich komme aus dem Tschad, dort hatte ich nicht begriffen, ob Europa gut oder schlecht für mich ist, das hatte ich nicht verstanden. Aber ich habe selber gesehen, wie schlecht das Leben im Tschad ist und deshalb habe ich gesagt, ich gehe nach Europa, um zu sehen, wie es dort ist, ja.
Alle Europäer wussten, dass wir mit dem Boot gekommen sind, aber sie hören nicht auf nachzufragen und das bringt nichts. Seit vier Jahren fragen sie laufend, wie seid ihr hergekommen, was habt ihr erlebt oder so was. Mit all dem haben wir bis heute nichts gewonnen, nichts Gutes kam raus um weiter zu kommen, denn man will uns nicht helfen. Das bringt nichts.
Das Leben in Syrien war durch den Krieg nicht zu ertragen und da ich Kinder habe, musste ich mit meiner Familie fliehen. Wir sind in den Libanon geflohen, dort musste ich meine Familie zurücklassen, da der Weg nach Europa gefährlich ist.”
„Der Weg ist gefährlich. Die Schlepper dort sagen, das Boot ist groß, aber es ist klein, sie lügen und sie nehmen viel Geld. Ich empfehle den Leuten die nach Europa wollen, nicht von Libyen zu fahren, das ist sehr gefährlich.“
„… die haben sie vor meinen Augen erschossen, meine Cousine ist auch gestorben, weil keine medizinische Versorgung da war und meine sechs Cousins sind auch leider im Krieg gestorben, meinen Vater haben die misshandelt, verprügelt und die wollten ihn auch töten, Gott sei Dank hatten wir jemand, der uns geholfen hat, sie haben ihn dann gelassen und wir sind danach zu meinem Opa nach Suur, Tyros geflüchtet und da waren wir bis Anfang 1979 und dann fing der Krieg wieder an …“
„It was very dark, it was really very terrible. I felt there like I am under the ground, something like that. One of the guys, who was with me in the room, he has a rope in his underwear. He take it out and start to hang himself. We called the police, to come to cut the rope, to help him. They wait 20 minutes, they come with a knife, they are afraid to cut the rope. We take him out to breathe. I don´t know, they got our bags, throw it in the streets like this: Go! It´s like that … where we gonna go. We have no place to stay again, …“
„Damals, als wir aus Bosnien kamen, da gab es ausgebildete Leute mit Studium, Doktor, Ärzte, Magister, also Leute von hohem Niveau. Die waren da und wir durften nicht arbeiten. Wenn man gleich mit etwas beschäftigt ist, wenn man zeigen kann, dass man Werte hat, dann schafft man das alles viel besser, als die Leute, die zwei Jahre zu Hause sitzen, sie werden immer nur kränker.
„Ich möchte nicht sagen, was im Meer passiert ist. Für die Leute, die nach Deutschland kommen ist es sehr gefährlich und schwer. Wenn einer nach Deutschland kommt, muss er viele Länder durchqueren. Es gibt viele Tote, Vermisste, die Gefängnisse sind voller Frauen und Kinder.“
„Es gibt sehr viele, sehr junge Flüchtlinge, die von ihren Eltern einfach losgeschickt wurden, um gerettet zu werden, oder um eine besseres Leben zu haben und teilweise sollten die ja auch in Libyen arbeiten für die Familie. Die waren ja alle beliebte Saisonarbeiter sozusagen und als Gaddafi gestürzt wurde, waren sie auf einmal Staatsfeinde und dann wurden die ja teilweise auch mit Gewalt auf die Schiffe gebracht, also es sind ja durchaus nicht alle freiwillig geflohen. Natürlich, man hat Angst, wenn man sieht, dass neben einem und in der Stadt Leute sterben, dass es so viel Gewalt und Auseinandersetzungen gibt. Da möchte man nicht bleiben, man sehnt sich nach einem besseren Leben.“


LIVEBOAT CHAPTER V

Installation
2015–2017

Material: Boot aus Luft und Folie, Sound Installation mitHomers  Odyssee und Ausschnitte von aktuellen Flüchtlingserfahrungen, boat of airy plastic pipes, sound installation with multilingual extracts from Homer’s Odyssey as well as fragments of refugee experiences

Fotos: Katharina Behling

Weitere Informationen zu LIVEBOAT CHAPTER V siehe unter › AUSSTELLUNGEN